Feldbock im Mai
Es herrscht mal wieder das geordnete Chaos in meinem Wagen. Wie jedes Mal, wenn es zur Jagd gehen soll. Heute bin ich jedoch nicht alleine. Meine Mitbewohnerin Eileen begleitet mich zur Bockjagd im neuen Revier. Eine letzte Kontrolle und es geht zum Pächter, um den Ansitz und die Freigabe zu besprechen. Er, sowie ein Mitjäger werden ebenfalls ihr Glück versuchen.
Die Reifen knirschen noch auf dem Schotterweg während das Auto langsam ausrollt. Im Sichtschutz des angrenzenden Rapsschlages satteln wir unsere 7 Sachen und pirschen zum Ansitz. Die Luft ist angenehm warm und es duftet nach dem blühenden Raps. Für einen kurzen Augenblick muss ich stehen bleiben und den Moment genießen. Es ist so herrlich dort draußen. Kleine Hügel ziehen sich über die Landschaft und es sieht so aus, als ob sich die noch jungen Getreidefelder mit den gelben Rapsschlägen zu einem Muster aus vielen farbigen Vierecken zusammenschließen, welche teilweise von kleinen Wäldern und blühenden Hecken durchzogen werden.
Unser Weg führt uns entlang eines Weizenschlages zu unserem Sitz. Wir sitzen unter einigen Fichten und schauen vor uns auf eine kleine Wiese. Sie ist nicht besonders groß, aber eine willkommene Abwechslung fürs Wild. Rechts neben der Wiese befindet sich ein Rapsschlag. Zur linken Seite säumt ein Knick (eine Hecke) einen anderen Weizenschlag, welcher an einen Gerstenschlag angrenzt. Dieser endet dann an einen Wald.
Wir brauchen einen kurzen Augenblick, um uns auf dem geräumigen Sitz einzurichten und ich mache einige Probeanschläge, damit ich im richtigen Augenblick nicht zu lange herumprobieren muss.
Eileen hat sich ein Buch mitgenommen und liest, während dessen ich die Augen schließe und dem Treiben der Natur lausche. So entspannen wir beide auf unsere Art und Weise.
Eine Hornissenkönigin fliegt derweil fleißig um uns herum und sucht geschäftig nach passenden Standorten für ein neues Reich. Leider wird sie nicht fündig und so verschwindet sie bald aus unserer Reichweite.
Es ist noch keine dreiviertel Stunde vergangen, die Kirchturmuhr aus dem nahegelegenden Dorf schlug eben halb neun, da sehe ich aus dem Augenwinkel einen roten Punkt. Dieser bewegt sich links den Knick entlang in unsere Richtung. Ich stupse Eileen an. „Da vorne zieht ein Stück Rehwild auf uns zu!“, flüstere ich ihr eilig rüber, „Ich glaube es ist ein Bock!“. Ich habe schon etwas zwischen den Lauschern leuchten sehen, greife jedoch nochmal zum Fernglas, um meine Vermutung zu bestätigen. Tatsächlich. Nun wird das Glas schnell gegen die Waffe getauscht, damit ich mit dem Zielfernrohr genau ansprechen kann. Die 12-fache Vergrößerung ist mir da eine größere Hilfe als mein Fernglas.
Eileen hält sich schon provisorisch ihre Ohren zu, doch mit einem Lachen beruhige ich sie und sage ihr, dass ich im richtigen Augenblick Bescheid gebe.
Der Bock ist schon auf gute 100 Meter an uns heran gezogen und plätzt was das Zeug hält. Kein Heckenast und kein Bäumchen ist vor ihm sicher.
Nun versuche ich mich so einzurichten, dass ich den Bock auch ins Visier bekomme. Leider steht er so weit links, dass ich mich ziemlich verdrehen muss. Die Waffe versuche ich durch das Tarnnetz zu stecken, da ich durch das offene „Fenster“ nicht ordentlich auflegen kann.
So sitze ich da, eindeutig krumm, sowie unbequem und merke wie sich Nervosität in mir breit macht.
Der Blick durch mein Zielfernrohr verstärkt diese nur. Der Bock hat ein braves Sechsergehörn. Seine Rosen stehen schon etwas tiefer und sein Träger (der Hals) lässt auf einen älteren Bock schließen. Ebenso hat er noch eine weitesgehend graue Decke.
Ich spreche den Bock als passend an und teile Eileen meine Entscheidung mit. Sie schließt die Ohren und ich gehe wieder in den Anschlag.
Der Bock steht nun auf 60 Meter und ich habe ihn gut im Glas. Doch mein Herz springt in meiner Brust als würde es Tango tanzen wollen. Solch ein Jagdfieber hatte ich lange nicht mehr. Ich zittere und kann das Absehen kaum ruhig auf dem Bock verweilen lassen. „Ich werde so nicht schießen“, denke ich mir, da verschwindet er im Knick.
Das kann es doch nun nicht gewesen sein, oder? Ich lasse mir die Enttäuschung nicht anmerken. In meiner Hoffnung, er würde doch nochmal wieder auswechseln, bleibe ich im Anschlag und warte.
Ein Ast wackelt. Nun der ganze Strauch und mit einem Satz steht der Bock 20 Meter weiter vorne als eben noch. Wie auf Kommando beginne ich wieder zu zittern. Noch steht er spitz, verdeckt vom hohen Gras, doch mit einem Mal bietet sich meine Chance. Ich hole tief Luft, versuche mich zu konzentrieren und werde ganz ruhig. Das Absehen kurz hinter dem Blatt und der Schuss bricht.
Auf einmal wackelt der ganze Hochsitz. Doch das bin dieses Mal nicht nur ich. Auch Eileen hat das Jagdfieber geschüttelt und sie wünscht mir Waidmannsheil. Sie klopft mir auf die Schulter und ich kann die Waffe kaum entladen.
Wir warten noch ein paar Minuten bis wir abbaumen, denn es ist für uns beide ein sehr emotionaler Moment.
Das war für Eileen die erste Erlegung eines Stück Schalenwildes, wo sie dabei war.
Nach dem Abbaumen suchen wir den Bock. Er lag doch im Knall, nur wo ist er hin? Unsicherheit macht sich breit. Saß der Schuss nicht dort wo ich gedacht habe?
Plötzlich sehe ich jedoch die rote Decke durch das Gras blitzen. Der Stein, der in der Zwischenzeit die Größe eines Brockens erreicht hat, fällt von mir ab.
Ich ziehe den Bock zu der kleinen Wiese und gebe ihm dort den letzten Bissen. Wir lassen die Jagd noch einmal Revue passieren bevor ich den Bock verblase. Während das Signal „Bock tot“ durch das kleine Tal hallt, versinkt die Sonne hinter dem Horizont.
Mein Pächter ist inzwischen bei uns angekommen. Von ihm bekomme ich einen Erlegerbruch überreicht und berrichte vom Erlebten.
Der Bock wird gleich im Revier aufgebrochen. Anschließend geht es zur Kühlkammer und dann auf ein kleines Bockbier wieder zum Pächter nach Hause.
Die Erlegung meines ersten Feldbockes hätte ich mir nicht anders wünschen können.