Stoppelsauen
Die drückende Hitze des Tages liegt selbst während der frühen Nacht noch in der Luft.
So langsam bin ich abgekämpft vom Lernen, schlage meine Bücher zu, lege die Unterlagen weg und fahre mir über die kurzen Haare. Der Mond leuchtet mit all seiner Herrlichkeit durch mein schräges Dachfenster und zieht mich mit einer magnetisierenden Wirkung nach draußen.
Ich brauche unbedingt ein wenig Abwechslung zum tristen Alltag am Schreibtisch und schwinge mich aus dem Stuhl.
Ein wenig leichte Kleidung reicht aus und so stapfe ich keine 10 Minuten später mit Büchse und Wärmebildkamera bewaffnet aus der Haustür.
Warm empfängt mich die Nacht und schon ist die Müdigkeit wie weggeweht.
Der Weizen ist seit ein paar Tagen runtergedroschen. Beste Bedingungen also, um nach ein paar Sauen Ausschau zu halten, die sich an den verloren gegangenen Ähren gütlich tun wollen.
Ich beginne meine Revierkontrolle mit einer Fahrt an die typischen Sauenwechsel, doch außer ein bisschen Reh- oder Raubwild scheint nichts auf den Läufen.
Meine Route führt mich durch den Buchenwald, welcher mich mit tiefster Finsternis empfängt. Bis auf das leise knatschen der Reifen im Schotter ist nichts zu hören. Nicht einmal das warnende Rufen eines Käuzchens ist zu vernehmen, welches die mögliche Anwesenheit der Borstentiere mit Sicherheit Preis gegeben hätte.
Weiter und immer weiter fahre ich dem Bestandsende entgegen und sehe das milchige Mondlicht schon den Waldweg entlang scheinen.
Sobald ich wieder das Feldrevier erreiche, stelle ich den Wagen an der Wegseite ab und schnappe mir den Pirschstock. Die Büchse hängt locker über der Schulter während ich mit leisen Schritten den, mit Kieseln überhäuften, Weg entlang pirsche.
Die Nacht ist so hell, dass ich die äsenden Rehe mit bloßem Auge bei ihrem nächtlichen Mahl beobachten kann. Nichtsdestotrotz kontrolliere ich den Waldrand und die weiter entfernten Flächen, um nicht aus Versehen einen versteckten Schwarzkittel zu verpassen.
Doch auch hier, wieder nichts.
Die Uhr in meinem Auto leuchtet mir grell entgegen. Mahnt schon fast der fortgeschrittenen Uhrzeit und dem Umstand, dass ich am nächsten Morgen wieder früh an den Schreibtisch muss.
So entschließe ich mich dazu den Heimweg anzutreten.
Nebenbei könne ich ja noch die ein oder andere Fläche abglasen, die sowieso auf meinem Weg liegt.
Umso näher ich dem Dorf komme, umso mehr schwindet die Hoffnung in dieser Nacht noch auf Sauen zu treffen. Allerdings täuschen mich meine Augen relativ selten, wobei ich mir sicher bin, dass ich gerade einen ganzen Haufen leuchtender Punkte auf dem Stoppelacker neben der Straße hab stehen sehen.
Wahrscheinlich hätte ich mit meinem Rückfahrmanöver einem Michael Schuhmacher zu seinen Bestzeiten Konkurrenz gemacht und stehe Sekunden später wieder an vermuteter Entdeckungsstelle.
Es ist nicht zu übersehen. Dort stehen drei reife Bachen mit vielen kleinen und großen Frischlingen zum Brechen. Mühsam wird von ihnen jedes übrig gebliebene Korn aus dem Boden gewühlt.
Mein Auto scheinen sie nicht mitbekommen zu haben, deshalb fahre ich wieder ein Stück vor und parke in der Fahrspur des gegenüber liegenden Feldes.
Ich schnappe mir meine sieben Sachen, lege mir gedanklich einen Plan zurecht und begebe mich in Richtung Rotte.
Ich stehe jetzt ca. 200 m entfernt. Normalerweise ist dies keine allzu lange Strecke zum Pirschen, doch die trockenen Stoppeln brechen unter jedem meiner Schritte mit einem lauten Knacken.
Eine andere Möglichkeit, als direkt auf die Rotte zuzulaufen, habe ich jedoch nicht. In unmittelbarer Nähe fehlt mir jede Chance, im Schlagschatten von Bäumen zu laufen. Schräg an der leisen Feldkante entlang, seitwärts auf die Sauen zu bleibt auch keine Option, denn dann würden sie mich eräugen und so schleiche ich in Zeitlupe Zentimeter um Zentimeter.
Die Schwarzkittel immer im Blick fällt mir abseits ein einzelner Frischling auf. Er ist ein wenig lahm und würde wahrscheinlich nur gute 20 kg auf die Waage bringen.
Darum entscheide ich mich mein Hauptaugenmerk auf dieses Stück zu legen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und einigen panischen Momenten, in denen ich mich wie ein Elefant im Porzellanladen fühle, weil ich mit meiner Ausrüstung klappere oder wieder Mal einen dieser verflucht lauten Stängel zum Brechen bringe, stehe ich keine 30 Schritt mehr von dem einzelnen Stück entfernt. Glücklicherweise scheint jede einzelne von ihnen schwer mit sich selber und der eigenen Nahrungsaufnahme beschäftigt zu sein, sodass ich ihnen wohl nicht weiter aufgefallen bin.
Mit höchster Konzentration versuche ich nun meinen Pirschstock aufzustellen und meine Büchse in Position zu schieben.
Jeder Atemzug kontrolliert nun meinen Herzschlag, der mit jeder weiteren Handlung ins Unendliche zu steigen scheint. Denn Schwarzwildfieber ist IMMER schwer ansteckend und kaum mehr loszuwerden.
Langsam, ganz mit Bedacht, suche ich nun die Auserwählte, finde sie und versuche den Rotpunkt ruhig auf das Blatt zu führen.
Ich merke, wie sich das Absehen festsaugt, lege den Finger an den Abzug und plötzlich sehe ich nichts mehr.
Oder doch? Schwarzer Klumpen auf schwarzem Grund?
Erleichterung fällt von mir ab, während ich die restliche Rotte wegbrechen höre. Ein kurzes Zittern kriecht von meinen Fingerspitzen bis in die Zehen. Ebbt jedoch so schnell wieder ab, wie es gekommen ist.
Schnelleren Schrittes bewege ich mich nun in Richtung meiner Beute.
An dem Ort an dem in meinen Gedanken bis eben noch ein schwarzer Klumpen war, liegt nun ein Frischling. Nicht besonders groß oder besonders klein. Gerade richtig für mich.
Ich markiere mir den Erlegungsort, sodass ich ihn leichter finden kann, bringe mein Gerödel ins Auto und hole den Bergegurt.
Mit ein wenig mehr Anstrengung als gedacht, komme ich dann nach Stunden, schweißgebadet, an der Straße an. Erst dort kann ich die Sau aufbrechen und sauber verladen.
Mittlerweile ist es 2 Uhr in der Früh.
So schnell es geht, bringe ich das versorgte Stück nun in die Kühlung und begebe mich auf den Heimweg.
Mit einem leichten Grinsen im Gesicht schäle ich mich nur noch aus der Kleidung und falle übermüde ins Bett.
Ob ich morgens wirklich pünktlich zum Lernen aufgestanden bin?
Wer weiß…
Liebe Jaegerdeern, endlich lässt Du uns wieder teilhaben. Du bist als Jägerin und Autorin gereift. Waidmannsheil und nur weiter so.
Liebe Jaegerdeern,
danke, dass Du mich mitgenommen hast ! Ich war fest an Deine Worte gefesselt und konnte von Deinem nächtlichen Ausflug gar nicht ablassen. Wie toll Du Deine Eindrücke in Worte fassen kannst, so hatte ich das Glück, Deine Empindungen mit zu erleben.